Timo Leibig Fachartikel

Wirtschaftlicher Erfolg als Verlags-Autor*in in der Belletristik? Ist das überhaupt möglich? Eine Rechnung.

24. Januar 2020

Schlagwörter: Autorenhonorar, Buchhonorar, Vorschuss, Autorenvertrag, Hybridautor*in, Verlagsautor*in, Self Publishing, Mindestlohn,Verdienst Kreativbe

Vor einigen Wochen bekam ich ein Angebot für einen Verlagsvertrag auf den Tisch. Ein Publikumsverlag möchte eine meiner Ideen gern mit mir umsetzen. Da Diversifikation immer wichtiger wird und weitere Standbeine neben dem Hausverlag nur von Vorteil sein können, wollte ich den Sektkorken schon knallen lassen, stellte dann aber die Flasche zurück in den Kühlschrank. Das Angebot belief sich auf unter 10.000 Euro. Ich lehnte aus wirtschaftlichen Gründen ab. Denn was auf den ersten Blick sehr viel aussieht, reicht bei genauerem Hinsehen nicht mal für den Mindestlohn.

Seit 2016 bin ich freiberuflicher Autor und damit Unternehmer. Mir gefällt der Part der Selbstständigkeit. Ich mag Zahlen, Analysen und unternehmerisches Denken. Deshalb steht eine Betrachtung von Einnahmen und Ausgaben und deren Entwicklung für mich regelmäßig auf dem Programm. Aufgrund des Angebots war es wieder so weit und ich fragte mich: Lohnt sich das Schreiben überhaupt (noch)?

Interessanter ist allerdings die Frage, was das Schreiben überhaupt wert ist. Wird diese anspruchsvolle Kreativleistung finanziell wertgeschätzt? Was ist Arbeit generell wert? In Deutschland gilt seit 2015 der gesetzliche Mindestlohn. Armut trotz bezahlter Arbeit soll bekämpft und Arbeitnehmer*innen sollen vor Ausbeutung durch die Arbeitgebenden geschützt werden. Es sind Begriffe aus dem Angestelltenverhältnis. Ich nutze sie bewusst, denn als hauptberuflicher Autor kann ich Mitglied der Künstlersozialkasse (KSK) werden und werde somit als Arbeitnehmer angesehen. 2020 beträgt der Mindestlohn 9,35 Euro pro Stunde (brutto). Bei einer Vollzeittätigkeit ergibt sich ein durchschnittlicher Monatslohn von 1620 Euro (173,33 Stunden pro Monat im Durchschnitt). Die Mitgliedschaft in der KSK wegen Kranken- und Rentenversicherungspflicht vorausgesetzt, muss ich als Verlagsautor im Jahr also 19.440 Euro Gewinn erwirtschaften, um den Mindestlohn zu bekommen. Gewinn bedeutet: nach Abzug der Ausgaben! Wir müssen also die jährlichen Ausgaben für das Betreiben des Schreibhandwerks addieren, um auf den nötigen Umsatz zu kommen.

Welche Ausgaben hat man als Berufsautor*in? Auf den ersten Blick braucht man doch nur einen Laptop und ein Schreibprogramm … Auf den zweiten etwas mehr: Website, Software, alle paar Jahre neue Hardware, Fachliteratur, Internet- und Telefongebühren, Büroartikel, Porto, Kontoführung, Reisekosten für Messebesuche in Leipzig, Frankfurt und Berlin, Büromöbel, Drucker, Bibliotheksgebühren. Auch Kosten für das Büro fallen an: Heizung, Strom, Miete. Dazu kommen Steuerberatung und Software zur Buchführung. Vielleicht wäre auch der Besuch einer Fortbildung oder eines Schreibseminars mal schön. Und was ist mit Marketing? Markenaufbau? Die Verlage fordern schon lange, dass man als Autor*in selbst aktiv wird. Überall Kosten, und kleines Vieh macht bekanntlich großen Mist. (Im Übrigen kostete mich dieser Blogbeitrag neun Stunden Arbeitszeit und 40 Euro fürs Lektorat.)

Eine exemplarische Rechnung realistischer jährlicher Ausgaben als Autor*in:
Website mit Content-Managementsystem samt Webserver: 50 Euro
Newslettersoftware (bei mehr als 1000 Abonnenten): 420 Euro
Grafiksoftware für Social Media Content: 120 Euro
Fachliteratur: 360 Euro
Internetgebühren/Telefonkosten: 600 Euro
Büroartikel/Material: 240 Euro
Porto: 240 Euro
Fortbildungskosten: 500 Euro
Reisekosten für Messen: 1000 Euro
Bürokosten (Heizung, Miete, Strom): 2400 Euro
Buchhaltungssoftware: 240 Euro
Datenbackupsoftware: 120 Euro
Schreibsoftware: 100 Euro
Steuerberater: 700 Euro
Eigenmarketing: 1200 Euro
Hardware (Laptop, Drucker, Handy): 500 Euro

Die Kosten belaufen sich jetzt schon auf 8790 Euro im Jahr und das ist relativ konservativ gerechnet. Sicher variieren die Ausgaben bei jedem, aber in der Summe wird sich das nicht viel nehmen. Runden wir der Einfachheit halber auf circa 9000 Euro im Jahr an Ausgaben auf. Wir müssten also, um auf den Mindestlohn zu kommen, schon 28.440 Euro Umsatz im Jahr generieren.

(Hinweis: Bei reinen Selfpublishern sieht die Rechnung völlig anders aus, denn die Kosten für Lektorat, Korrektorat, Satz, Coverdesign usw. schlagen noch mal ordentlich zu Buche. Eine Betrachtung der Kosten bei einem Selfpublisher wäre ein eigener Blogbeitrag.)

Haben wir nicht was vergessen? In der Regel sind heutzutage Agenturen für die Vermittlung und Vertragsverhandlungen tätig. Seriöse Agenturen nehmen 15 bis 20 Prozent von den Honoraren. Bei den meist üblichen 15 Prozent müssen wir also 33.459 Euro Umsatz generieren. Rund 33.500 Euro Jahresumsatz, um als Verlagsautor*in auf den Mindestlohn zu kommen.

Und was verdient man jetzt wirklich als Verlagsautor*in? Dazu hat die Schreibtrainerin Dr. Anette Huesmann einen fundierten Blogbeitrag veröffentlicht, zu finden hier: https://www.die-schreibtrainerin.de/was-verdient-man-mit-einem-buch/. Ihrer Recherche nach belaufen sich die Vorschüsse für ein Buch in der Regel auf weniger als 10.000 Euro. Das kenne ich irgendwoher. Ich muss durchatmen. Tief durchatmen. Wie sollen wir da auf ein Minimum von 33.500 Euro im Jahr kommen?

Betrachten wir den möglichen Output der Schreibenden. Wie viele Seiten kann man im Jahr produzieren? Frau Huesmann geht von zwei Normseiten pro Arbeitstag aus. Dieser Meinung bin ich nicht, denn viele Kolleg*innen aus dem Selfpublishing und auch erfolgreiche Verlagsautoren wie Stephen King oder Markus Heitz produzieren deutlich mehr. Ich halte 100 qualitativ gute Seiten im Monat für realistisch. 1200 Seiten im Jahr also. Wie müssten die Vorschüsse dementsprechend aussehen?

Bei zwei Sechhundertseitern: mindestens 16.750 Euro pro Buch
Bei drei Vierhundertseitern: mindestens 11.167 Euro pro Buch
Und bei vier Dreihundertseitern: mindestens 8375 Euro pro Buch

Wobei es schwierig ist, vier Verlagsverträge pro Jahr abzuschließen, aber das ist ein anderes Thema.

Nur rund zwei Prozent aller Autor*innen in Deutschland können nach Angaben verschiedener Quellen vom Schreiben leben. Anhand der nackten Zahlen sieht man, warum. Mit den üblichen Vorschüssen ist das rechnerisch gar nicht möglich.

Aber halt, man bekommt doch auch Honorare über die Vorschüsse hinaus! Ja, aber nur, wenn das Buch gut läuft. Branchenangaben zufolge spielen mehr als die Hälfte aller Bücher ihre Vorschüsse nicht ein. Zusätzliche Honorare über den Vorschuss hinaus in die Kalkulation aufzunehmen ist also wirtschaftlich gesehen ein eklatantes Risiko für Autor*innen, die keine Mischkalkulation wie ein Verlag eingehen können. Somit sind Tantiemen kein Argument. Es bleiben die Vorschüsse, und mit denen arbeiten die meisten Autor*innen fleißig unter Mindestlohn.

Wofür wurde der nochmals eingeführt? Um Armut zu bekämpfen und vor Ausbeutung zu schützen.

Das bringt mich zu der naheliegenden Frage: Wieso unterwirft sich die Autorschaft diesen Begebenheiten? Nun: Weil wir erzählen wollen. Weil Geschichten essenziell sind. Ein Kulturgut. Man stelle sich die Welt ohne Geschichten vor. Wir traurig wäre das? Vermutlich in etwa so traurig wie der Anblick von Kontoauszügen so manch hauptberuflicher Autor*in.

Aber ist es fair, die Verlagsbranche dafür verantwortlich zu machen? Betrachten wir auch hier ein paar Zahlen:

2018 erschienen rund 71 500 neue Buchtitel auf dem deutschen Markt, davon ca. 25 600 aus der Sparte Belletristik. Der Buchhandel setzte im gleichen Jahr rund 9,13 Milliarden Euro um, davon entfielen 31,5 Prozent auf die Belletristik. 2017 verkauften sich rund 367 Millionen Bücher.
(Quellen: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/39166/umfrage/verlagswesen-buchtitelproduktion-in-deutschland/ und https://de.statista.com/statistik/daten/studie/955866/umfrage/neuerscheinungen-nach-warengruppe-belletristik/)

Rechnen wir grob mit diesen Zahlen. Ein Drittel der Umsätze entstammt der Belletristik, also verkauften sich rund 120 Millionen Bücher in dieser Sparte. Ignorieren wir kurz die Backlist und die Bestseller, dann hätten die 25 600 Novitäten je 4688 Exemplare verkauft.

Laut einhelliger Meldung der Verlage (Quelle: https://becksche.de/Meldung/07-02-2019-von-novitaeten-alleine-kann-man-nicht-leben) entstehen fünfzig Prozent des Umsatzes allerdings aus der Backlist. Für unsere Novitäten heißt das, dass sich die Verkaufszahlen pro Buch halbieren, im Durchschnitt sich nur noch 2350 Stück von jedem Buch verkaufen. Und dann gibt es noch Bestseller, die wochenlang auf Platz 1 stehen und sich massig verkaufen. Auch die reduzieren den Verkaufsdurchschnitt aller anderen.

Optimistisch gerundet verkauft sich eine Novität also um die 2000-mal. Wie soll dafür ein Verlag entsprechende Vorschüsse zahlen können? (Gern würde ich hier eine beispielhafte Verlagskalkulation anführen. Also bitte meldet euch bei mir, liebe Entscheider*innen! Ich bin hochgespannt.)

Trotzdem kann es nicht sein, dass eine ganze Branche für lau arbeitet. Daher stellt sich die Frage: Wie können für Autor*innen finanzielle Sicherheiten und ein geregelteres Einkommen erreicht werden? Ich würde mich über Feedback von Verlagen freuen, denn es ist trotz aller Zahlen unverständlich, weshalb ausgerechnet die Autor*innen das ausbaden sollen. Sie werden nämlich nicht wie Dienstleister bezahlt. Bei Coverdesigner*innen, Setzer*innen und Lektor*innen gibt es nicht diese extremen Schwankungen in der Bezahlung. Deren Leistungen kosten von Buch zu Buch ähnlich. Bei Textkreation ignoriert man das hingegen völlig.

Liegt’s doch an der Politik der Verlage? Wieso haben die meisten zum Beispiel keine Grafik-Abteilung? Wieso werden Covergestaltungen und Textredaktionen zu großen Teilen an Externe vergeben und damit teurer eingekauft als bei einer Inhouse-Leistung? Ein exklusives Coverdesign von einer Agentur kann schon mal bis zu 3000 Euro kosten. Wie passt das zu Vorschüssen im Bereich von 3000 bis 5000 Euro, wenn man mindestens vier Monate Schreibzeit einer Woche Designzeit gegenüberstellt?

Wir Geschichtenerzähler*innen sind schon lange keine Künstler*innen mehr, wir sind Dienstleister*innen und Handwerker*innen. Wie kann also der Trend sinkender Vorschüsse gestoppt und umgekehrt werden? Über die Anhebung der Buchpreise? Über die Reduzierung der Novitäten pro Jahr? Über besseres Wirtschaften der Verlage? Über ein Umdenken der Autorenschaft? Ich bin auf eure Meinungen gespannt – und habe für heute genug von Zahlen.

Verfasser: Timo Leibig
Fotos: © flow n mary – Studio für Gestaltung

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